VBVG 2019 – §191 BGB

§191 BGB oder Kleiner Einschub, große Wirkung

Bis zum 18. Februar 2019 war die Welt noch in Ordnung. Dann jedoch erschien der Regierungsentwurf des neuen VBVG und durch einen winzigen Einschub im Entwurfstext wurde eine wichtige Grundlage der bisherigen Rechtsprechung negiert.

…zeitanteilig nach Tagen zu berechnen; §187 Absatz 1, §188 Absatz 1 und §191 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend. aus §5 Abs. 2 VBVG 2019

Mit dem kleinen Einschub „und §191“ zur Fristenregelung wurde, quasi durch die Hintertür, die „30-Tage-Reglung“ für die Monatsberechnungen eingeführt und damit der bisherigen Rechtsprechung im Betreuungsrecht, die eine tagesgenaue Berechnung bei Aufteilungen von Monaten vorsieht, wieder verwässert. Unglücklicherweise erfolgte diese Änderung des bis dato vorliegenden Referentenentwurf ohne eine Nennung von Erwägungsgründen durch eine schlichte redaktionelle Ergänzung. So kann sich die Auslegung des Gesetzes nur auf die bisherige Rechtsprechung und Erfahrungen im Sozialrecht im Allgemeinen stützen.

Dummerweise steht die Einführung der 30 Tage Regelung zur Monatsberechnung im direkten Widerspruch zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Nicht zuletzt die wegweisende Urteile des BGH vom 15.12.2010 (XII ZB 170/08) und vom 25.05.2011 (XII ZB 440/10) schufen die Grundlage für den korrekten Umgang mit der Berechnung von Aufteilungen von Abrechnungsmonaten nach VBVG.

In den Begründungen dieser Urteile wird deutlich herausgestellt, was „Betreuungsmonate“ und was „Abrechnungsmonate“ sind und wie diese aufgeteilt werden, wenn hierzu, z.B. durch Änderung von Umständen oder aber auch dem Betreuungsende eine Aufteilung eines solchen „Monats“ erfolgen muss.

Im Betreuungsrecht wird hierzu wie im Sozialrecht im Allgemeinen eine tagesgenaue Aufteilung bzw. Tageszählung genommen. Dies bedeutet, dass der Anteil des Monats hier exakt, eben tagesgenau, gezählt wird und für den Zähler (also betroffene Tage) zur Aufteilung herangezogen werden.

Ein Beispiel

Wenn ein Abrechnungsmonat vom 15.8.2019 bis einschließlich 14.9.2019 durch Ende der Betreuung am 5.9.2019 vorzeitig zu Ende geht, muss die Vergütung entsprechend §5 VBVG anteilig, d.h. tagesgenau aufgeteilt werden.

Hierzu werden für den Zähler des Bruchs exakt die Tage vom 15.8.2019 bis zum 5.9.2019 einschließlich gezählt. Tagesgenau gezählt sind dies genau 22 Tage.

Nach altem VBVG-Recht und der dazu passenden Rechtsprechung wurde für den Nenner des Bruchs ebenfalls die absolute Anzahl Tage des gesamten Abrechnungsmonats genommen. Im Beispiel wären dies 31 Tage für den Zeitraum 15.08.2019 – 14.09.2019.

Im neuen VBVG wird nun seit Juli 2019 durch das Heranziehen von §191 BGB für den Nenner des Bruchs stets 30 Tage genommen. Dies geschieht unabhängig von Anzahl der tatsächlichen Länge des Abrechnungsmonats in Kalendertagen.

Nach altem Recht wäre die Aufteilung also zu 22/31 erfolgt.

Nach neuem Recht erfolgt die Aufteilung als 22/30.

Wie bereits in unserem Beitrag vom 14. Juni 2019 vorausgesagt, birgt der aus unserer Sicht ungeeignete Verweis auf §191 BGB viele Probleme da die Nutzung in Zusammenhang von Betreuungen in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist.

Aktuell spiegelt sich diese ungewisse Situation in einer Interpretation durch einzelne Rechtspfleger wieder die beim Erstellen der Brüche abweichend von der bisherigen Praxis nicht tagesgenau sondern auf Grundlage von fiktiven „Bank-Zinstagsberechnungen“ ausgehen. Hierbei werden Kalendertage die auf den 31. eines Monats fallen, schlicht nicht berücksichtigt.

In obigem Beispiel würde der 31.08.2019 einfach nicht mitgezählt. Es käme so zu einer Aufteilung zu 21/30, mithin einem Tag weniger als bei wirklich tagesgenauer Zählung.

Wir sind jedoch der festen Überzeugung, dass diese Herangehensweise falsch ist und auch nicht in der Intention des Gesetzgebers liegt. §5 VBVG schreibt eine „tagesgenaue“ Aufteilung vor. In enger Abstimmung mit den Fachautoren und Kommentatoren des Gesetzes wie z.B. Herrn Deinert und Herrn Prof. Fröschle teilen wir deren einhellige Meinung, dass der Verweis auf §191 ausschließlich für den „Nenner“ und nicht für den „Zähler“ gilt. Der „Zähler“ ist dagegen exakt und tagesweise zu berechnen.

In der sozialrechtlichen Rechtsprechung wird dies ebenso gesehen. So heißt es in einer Entscheidung des Landessozialgerichts München vom 11.01.2016 (L 16 AS 251/15 B) bezüglich der sinngleichen Regelung in §41 I SGB II:

„Die Fiktion von 30 Tagen in § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II für einen Kalendermonat unabhängig von der tatsächlichen Anzahl seiner Tage ist daher bei der Berechnung von Leistungen für einen Teilmonat nur für die Berechnung (als Divisor) maßgeblich, nicht aber für die Frage, für wie viele Tage die danach errechneten Leistungen zu bezahlen sind.“

Die aktuell von einigen Gerichten praktizierte Vorgehensweise den 31. eines Monats bei einer tagesgenauen Zählung einfach zu „unterschlagen“ wirft naturgemäß die Frage nach dem Monat Februar auf. Wird dort dann um 1-2 Tage ergänzt sobald der Teilbereich über den 28. Februar läuft? Was passiert wenn der Tag des Ereignisses genau auf den 30. fällt? Gilt dann der ebenfalls zu berücksichtigende §187 BGB nicht? Schließlich wäre der erste nachfolgende Tag dann der 31. welcher ja angeblich nicht berechnet würde.

Wie diese, erst durch den untauglichen Einschub des Verweises auf §191 BGB entstandenen Fragestellungen in der betreuungsrechtlichen Rechtsprechung beurteilt werden, ist bis dato leider völlig ungeklärt. Die Intention dieses Einschubs mag eine angedachte Vereinfachung gewesen sein. Erreicht wurde leider Gegenteil.

Gestützt durch die Meinung und Kommentare der Fachexperten für Betreuungsrecht berechnet BdB at work daher bis zur Klärung dieser Fragen tagesgenau, d.h. ohne Weglassung von einzelnen Kalendertagen und damit zum Vorteil der die Software nutzenden Betreuer.

veröffentlicht am 17.Dezember 2019